
Spezial Report vom Matterhorn
Gedanken der beiden Zermatter Bergführer Kurt Lauber und Richard Lehner
Die Zermatter Kurt Lauber und Richard Lehner sind legendäre Hüttenwarte und Bergführer. Jeden Tag sehen sie sich mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert.
Wer von Zermatt aus in die Höhe steigt, wird belohnt. Allein 38 Viertausender gibt es in der Gegend – Dufourspitze, Dent Blanche, Zinalrothorn oder Weisshorn. Und natürlich: das Matterhorn, diesen Welt-Berg, der das Walliser Dorf erst zur internationalen Tourismusmarke gemacht hat, verewigt auf Souvenirs und der Toblerone.
Doch dem «Horu» geht es nicht gut. «Die Nordwand ist fast schwarz. Die letzten 200 Meter, die eigentlich immer von Schnee und Eis bedeckt waren, sind beinahe trocken», sagt Kurt Lauber. Die Rechnung ist einfach: Wenig Vereisung gleich mehr bröckelnder Fels gleich mehr Gefahr. Lauber weiss, wovon er spricht.
Während 24 Jahren hatte er einen der exklusivsten Arbeitsplätze der Schweiz. Als Hüttenwart der Hörnlihütte war er bis 2018 der Wächter des Matterhorns, legte mit strengem Regime fest, welche Seilschaft am Morgen als erste aufbrechen durfte. Als Bergführer stand er über 400 Mal selber auf dem Gipfel. Als Bergretter rückte er über 1000 Mal aus, um in Not geratene Alpinisten zu bergen.
61-jährig ist Lauber inzwischen. Sein Zuhause hat er auf 2300 Meter über Meer verlegt, wo er mit seiner Frau das «Ze Seewjinu» führt, eine Mountain-Lodge, direkt am Grünsee, zwischen Gornergrat und Sunnegga, umgeben von Arven und Bergketten, Blick aufs Matterhorn inklusive.
Bei Lauber eingetroffen ist an diesem heissen Juli-Nachmittag auch Richard Lehner, ebenfalls eine Institution in Zermatt. Der Bergführer ist von der Monte-Rosa-Hütte abgestiegen, die er leitet. Einen Namen gemacht hat er sich mit der Rettung von Alpinisten am Annapurna in Nepal – auf 7000 Metern über Meer, eine Weltsensation.
Auszug aus Interview von Christoph Ruckstuhl / NZZ
Eine riesige Lawine aus Fels und Eis hat kürzlich an der Marmolata in den Dolomiten Tod und Verwüstung gebracht. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis so etwas auch in den Schweizer Alpen passiert?
Kurt Lauber: Gletscherabbrüche hat es immer mal wieder gegeben. An der Marmolata war das grosse Pech, dass im dümmsten Moment so viele Leute unterhalb des Gletschers waren. Aber die anhaltende Wärme bis in höchste Lagen ist ein riesiges Problem. Auch hier in Zermatt.
Richard Lehner: Vom Zustand der Gletscher und der Schneegrenze her sind wir dem normalen Jahresablauf vier bis fünf Wochen voraus. Wenn die Nullgradgrenze wie jetzt auf über 4000 oder sogar 5000 Meter steigt, nehmen die Gefahren zu. Der Permafrost löst sich langsam auf. Der Fels kommt ins Rutschen, Steinschlag nimmt zu. Zum Glück gab es bisher im ganzen Alpenraum noch keine grossen Felsausbrüche.
Für Touren im Hochgebirge gilt eigentlich die Faustregel: Am Morgen früh los und bis am Mittag zurück sein. Ist das vorbei?
Lehner: Wegen der hohen Temperaturen sind derzeit immer mehr Touren gar nicht möglich, zum Beispiel der Klassiker auf den Viertausender Pollux. Es gefriert in der Nacht nicht mehr richtig. Dadurch steigt das Risiko, von losen Steinen getroffen zu werden oder in eine Gletscherspalte zu stürzen.
Lauber: Die Situation erinnert an den Hitzesommer im Jahr 2003. Aber es ist noch nicht so schlimm.
Am Hörnligrat brachen damals Felsmassen ab, so schwer wie vier Einfamilienhäuser. 84 Alpinisten mussten evakuiert werden. Das ging um die Welt.
Lauber: Ich war als Retter vor Ort und danach stundenlang am Telefon. Alle wollten etwas wissen, von Käseblättern bis zur «New York Times». Es ging halt um das Matterhorn. Felsabbrüche gab es fast zeitgleich auch an der Dent Blanche und in Chamonix. Das hat fast keinen interessiert. Wir haben den Berg für drei Tage gesperrt, weil wir alle instabilen Stellen von Hand räumen mussten. Wenn bei dieser Aktion jemand erschlagen worden wäre, wären wir dafür haftbar gewesen.
Nachtrag von Peter
Im Juli 2022 war ich zwei Mal auf dem Weg zur Hörnlihütte und war erschrocken wie wenig Schnee oben im Vergleich zu den Vorjahren lag. Mein Abstieg war von ernsthaften Sorgen begleitet, wie geht das weiter?
Habe meine Sorgen bei der Kapelle Schwarzsee auf 2’552 MüM. mit Anzünden von mehreren Kerzen deponiert, so dass es die „höhere Gewalt“ auch erfährt.
Uns bleibt fast nur die Hoffnung, dass die Natur „es wieder regelt“
Peter Marugg